Es hallte der Startschuß des staatlich subventionierten Dressuraktes aus den prall gefüllten sich öffnenden Zuckertüten mit denen die Delinquenten in die Startlöcher zum Ernst des Lebens gelockt wurden. Die Dompteure gaben sich als liberale Animateure, zumindest solange ihre Mitverschwörer zugegen waren. Diese Kollaborateure, bis dato Vertrauensleute des versammelten Jungvolkes, spielten durch die Überreichung der trojanischen Zuckertüte stark mit der bislang kaum erschütterten Vertrauensbasis, heute als "Eltern-Kind Schublade" bekannt.
Der große Tag, auf den man wochenlang und ausführlich von den verschiedensten Seiten vorbereitet worden war, war gekommen. Die einen schilderten diesen Lebensabschnitt in überschwenglicher Euphorie, ähnlich wie die Kirche die Verkündigung des Herrn. Die anderen genossen es, den totalen Frust unter den Aspiranten zu verbreiten, um sich an den angstgeweiteten Augen derselben zu ergötzen.
Da wurden so schreckliche Geschichten in die Welt gesetzt, man müßte nicht nur stundenlang ruhig auf dem selben Stuhle sitzen sondern außerdem geduldig an dem Monolog einer einzigen Person partizipieren. Zur Erhöhung der Pein müßte man dann, zwecks Aufmerksamkeitskontrolle, bei Nennung des eigenen Namens das soeben gehörte sofort zu repetieren. Das Wechseln der Stühle und freundschaftlich nachbarliche Dialoge zwecks Informationsaustausch und Anhörung der Meinungsvielfalt zur objekiven Meinungsbildung seien streng verpönt. Zuwiderhandlungen würden, zur Erlernung gesellschaftskonformer Verhaltensstrukturen, unter der Demonstration von erzieherisch staatlicher Ordnungsmacht, mittels Stockschlägen geandet.
Selbst von gesundheitsschädigendem Terror war da die Rede. Der totalitäre Instrukteur, Lehrer genannt, einer Mannschaftseinheit, die man Klasse nannte (was nichts mit der Qualifikation der selben zu tun hatte) war autorisiert die Ausübung gesundheitsfördernden Sportes am Nachmittag, wie Fußball spielen etc, zu verhindern. Er konnte statt dessen ein langweilig, peinvolles, rückgratverkrümmendes und bandscheibenschädigendes zusätzliches Stühlesitzen zu verordnen, im Fachjargon Arrest oder Nachsitzen genannt.
Von alledem war jedoch am Zuckertütentag nichts zu spüren. Die Vertreter der Institutionen gaben sich jovial und freundschaftlich zutraulich. Vielleicht war dies deshalb, weil die Zuckertütendelinquenten an diesem Tage ihren persönlichen Begleitschutz aufgeboten hatten. Nach dem gegenseitigen ersten Beschnuppern, zog man in einer Art gemeinsamer Prozession zur Kirche. Jede Konfession zog zu der Ihren, und lauschte den vorbereitenden Worten ihres eigenen Seelenhirten.
Da war die Rede von grünen Auen, frischem Wasser und guten Hirten, und von Schafen die der Hirte auf grünen Auen mit frischem Wasser weiden lies. Selbst ausgebüchste Schafe fand da der Hirte wieder. Danach verließen die Prozessionsteilnehmer nach Absingen der Choräle wieder die Kirche. Die kirchlichen Hirten verschwanden durch die Hintertür, während die administrativ-weltlichen- und die blutsverwandt-fürsorglichen Hirten inklusive der Zuckertütenschafe durch die Eingangstür entschwanden. Der erste Arbeitstag einer neuen Ära war beendet. Die Lämmchen waren aufgenommen in den gesellschaftstypischen Ausbildungsprozess Schafe zu werden.
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